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Comicrezension / Graphic Novels / Highlights / Podcast

Abschied. Im Jahrtausendwald von Jiro Taniguchi

Comic im Querformat zeigt einen Jungen vor einer bergigen Landschaft mit viel Wald, daneben liegen drei Jasminblüten

Abschied nehmen

Nach knapp 70 Jahren verließ Jiro Taniguchi die Welt der Lebenden. Er verstarb im Februar des Jahres 2017.Mit diesem eindrucksvollen Buch müssen und dürfen wir Abschied nehmen von ihm und seiner Kunst. Es wird keine neuen Manga geben. Das war’s. Welch großer Verlust, wie Im Jahrtausendwald eindrucksvoll zeigt.

Er war ein Mangaka, ein Zeichner und Erzähler. Er liebte die Natur in allen Facetten. Dieser Comic, sei es auch ein unvollendeter, denn er konnte die auf drei Bände angelegte Geschichte leider nicht mehr zu Ende erzählen, lässt uns aufs Deutlichste spüren, wie nah Taniguchi dem Leben auf unserem Planeten war. Wie stark, wie innig seine Bindung zur Natur gewesen ist. Und er lässt seine Leser*innen ganz nah an sich heran. Zu sehr ähnelt der Protagonist, der 10-jährige Wataru dem großen Künstler, als dass jemandem, der die Berichte und Nachrufe im letzten Drittel dieses Buches liest, diese Parallele nicht auffallen könnte.

Der traurige Junge aus Tokyo

Wataru ist zehn Jahre jung, als seine Mutter ins Krankenhaus kommt und er zu seinen Großeltern aufs Land ziehen muss. Sie kann sich nicht um ihn kümmern, daher muss er vorerst Abschied nehmen. In Kaminobe, das tief in den Bergen vier Kilometer von der Stadt entfernt liegt, fühlt Wataru sich allein. So wie zuvor auch in Tokyo. Seine Großeltern sorgen liebevoll für ihn, aber seine trübe Gemütslage bleibt bestehen. Er kapselt sich ab und als er mitten in der Schulstunde in der ihm fremden Schule mit fremden Kindern und einer fremden Lehrerin zu träumen beginnt, hört er ein Flüstern. Kommt dies aus dem Wald? Wataru fühlt sich angezogen von den Bergen, von diesem Wald und hatte sein Großvater nicht gerade davon gesprochen, dass er hier richtig aufgehoben wäre? Er sprach davon, dass die Berge ihn heilen würden. Dass der Wald ihn in den Arm nehmen würde.

Im Jahrtausendwald Innenansicht

Im Jahrtausendwald, Seite 5

Liebe und Poesie

Im Jahrtausendwald ist voller Liebe auf allen Seiten. Liebe des schaffenden Künstlers der Natur, den Tieren gegenüber. Dazu die Leidenschaft für seine Kunst. Die Liebe der Herausgeber und Begleiter Taniguchis. Der Menschen, die am Ende des Bandes über ihn berichten, von seinem Leben, seinen Arbeiten und in den Zeilen von ihrer Liebe zu seinem Wesen und seinem gesamten Sein erzählen. Das gesamte Buch strotzt vor Poesie in Bildern und Texten.

Der junge Wataru, der dem stillen zurückhaltenden Taniguchi in seiner entspannten Traurigkeit und seiner Hingabe zur Natur so ähnlkch zu sein scheint. Dieser Wataru machte den Autor so nahbar für mich, wie ich es in dieser Intensität zuvor nicht in seinen Büchern erlebt habe. Zwar können mich seine Werke stets auf besondere Weise berühren, Im Jahrtausendwald aber geht da noch etwas weiter. Sicher haben die so persönlichen Nachrufe, die Skizzensammlung und der ausführliche und illustrierte Bericht seiner Agentin Corinne Quentin und seines Redakteurs und Begleiters Motoyuki Oda mit dazu beigetragen.

Interessant sind auch die Parallelen zu anderen, früheren Werken des Autors. So gibt es in Der Wanderer im Eis eine Kurzgeschichte (Kaiyose-Jima. Die Muschelfängerinsel), in der ein Junge aus Tokyo zu seinen Großeltern ans Meer ziehen muss, da seine Mutter im Krankenhaus ist. Und in Ice Age Chronicle of the Earth begegnen wir mäandernden Wäldern, woran ich bei den plötzlich nach einem Erdbeben erscheinendem Wald in diesem Buch denken musste.

Würdig

Mit der für Japan so „sperrigen“ Ausgabe im Querformat (es passt nicht in die üblichen Manga-Regale) der für den französischen Markt entwickelten Story, hat Jiro Taniguchis letzter künstlerischer Ausflug ein würdiges Zuhause gefunden. Passend zum naturverbundenen Inhalt ist das Hardcover mit einem matten handschmeichelnden Umschlag versehen. Einzig der Junge auf dem Cover hebt sich durch einen glänzenden „Lack“-Effekt ab.

Wer diesen Text hier liest, wird vermutlich spüren, wie sehr ich dieses Buch mag. Es hat mich schon auf den Seiten vor dem eigentlichen Comicteil tief in den Bann gezogen. Ein gerastertes Bild, das später in einer ungerasterten Version in der Erzählung auftaucht, und einen Blick in den mystischen Wald erlaubt, hat mich nicht losgelassen. Ganz in grün und schwarz zeigten sich nach und nach die phantastischen Kreaturen zwischen dem alten Grün des Waldes. Faszinierend. Wunderschön. Zum Versinken und Träumen.

Jiro Taniguchis Bilder und seine gesamte Erzählung haben es geschafft, meine Augen und meinen Geist tief zu entspannen. Danke.

 


Foto des Autors

Autor: Jiro Taniguchi (Quelle: Carlsen Verlag)

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Im Jahrtausendwald

Szenario / Zeichnungen

Jiro Taniguchi
Übersetzung aus dem Japanischen von: Miyuki Tsuji

Noch ein paar Details und Genre

Im Oktober 2018 erschienen im Carlsen Verlag, ISBN 978-3-551-72810-4, 80 Seiten, Hardcover, Euro 20

Manga. Comic. Graphic Novel. Ökologie. Fantasy. Phantastik.

Auch Katrin von Phantásienreisen hat den Comic gelesen und in ihrem Blog rezensiert:
Rezension auf phantasienreisen.de

Podcast

Im Jahrtausendwald war meine Empfehlung in Folge 9 unseres Podcasts 3 Frauen. n Comics. Der Comicklatsch.

Den Comic habe ich als kostenfreies Rezensionsexemplar erhalten.
Meine Meinung ist davon völlig unbeeinflusst.

Im Jahrtausendwald von Jiro Taniguchi (Cover)

Im Jahrtausendwald von Jiro Taniguchi (Cover)

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6 Comments

  • Miss Booleana
    16. Februar 2019 at 10:38

    Danke für die Besprechung – das Buch steht auch schon seit Kathrins Beitrag auf meiner Liste. :)
    Als großer Taniguchi-Fan war ich vor ein paar Jahren angesichts des Nachrufs sehr traurig. Er war für mich immer ein glühendes Beispiel für die Vielfältigkeit der Stile und Formen in denen Manga daherkommt. Aber sein Werk bleibt.
    Danke übrigens auch, dass du seine Werke Manga und ihn Manga-ka nennst. Ich sehe die Trennung der Begriffe normalerweise nicht so eng, aber es ärgert mich etwas, dass er auf dem deutschen Markt (eventuell zugunsten Sichtbarmachung und Zielgruppen-Trennung??) vom Verlag selbst auch als Graphic Novel eingeordnet wird. Aber ich mag nicht, dass seine Bücher dadurch vom Manga-Begriff getrennt werden, weil die Allgemeinheit der deutschen Leserschaft somit immer wieder entgeht, dass Manga mehr sein kann als große Funkelaugen.

    Reply
    • booknapping
      26. Februar 2019 at 21:05

      Endlich komme ich dazu deinen Kommentar zu beantworten, bitte entschuldige, dass es sooo lange gedauert hat.
      Es geht mir wie dir, den Tod dieses Künstlers empfand ich als einen Verlust, der mich traurig gemacht hat. Und ja – sein Werk bleibt natürlich. Traurig bleibt es aber ebenfalls.
      Für mich sind seine Werke Manga und er entsprechend ein Mangaka, weil dies eben die Bezeichnung japanischer Comics ist. Graphic Novels sind schlussendlich auch eine Untergruppe in der großen Comicwelt und ich finde es auch nicht falsch, zu sagen, dass es sich bei Taniguchis Werken (teilweise) um graphische Novellen handelt. Nichtsdestotrotz bleiben sie weiterhin Manga. Dein Ärgernis kann ich daher sehr gut nachvollziehen.

      Ganz liebe Grüße
      Sandra

      Reply
  • Zeilentänzerin
    2. Februar 2019 at 11:44

    Das Klingt wirklich nach einem tollen, inspirierenden Buch. Neben dem Inhalt finde ich die Illustrationen auch sehr ansprechend. Danke für den Tipp!

    P.S. Herzlichen Dank für deine so lieben, herzerwärmenden Worte auf meinem Blog!

    Zeilentänzerin

    Reply
    • booknapping
      2. Februar 2019 at 11:48

      Liebe Zeilentänzerin
      herzlich Willkommen :-) Taniguchi eint uns Liebhaber*innen von guter Literatur. Vielleicht hast du ja einmal die Gelegenheit reinzuschauen.
      Liebe Grüße,
      Sandra

      Reply
  • Kathrin
    25. Januar 2019 at 15:50

    Liebe Sandra,

    ich freue mich, dass das Buch dich auch so berühren konnte wie mich. Normalerweise bin ich kein Fan davon, unvollendete Werke zu veröffentlichen. Ebenso wenig mag ich Vor- / Nachworte, in denen endlos jemanden gedacht oder gedankt wird. Aber bei „Im Jahrtausendwald“ mochte ich beide Aspekte sehr, weil das Gesamtpaket stimmt und alles so voller Feingefühl, Wärme, Liebe und Respekt ist. Man spürt in jedem Bild Taniguchis Liebe zur Natur und in jeder Zeile der Bekannten die tiefe Bewunderung und persönliche Verbindung. Für mich ist Taniguchi dadurch noch „greifbarer“ geworden und beim Lesen hatte ich manchmal das Gefühl, neben ihm zu sitzen.

    Dein Beitrag spiegelt all das genauso gut wieder und sofort war ich zurück im Buch. Man spürt aber auch sehr gut, wie sich das Lesen für dich anfühlte – und ich wage zu behaupten: Wir haben das Gleiche empfunden. :)

    Liebe Grüße
    Kathrin

    Reply
    • booknapping
      31. Januar 2019 at 07:19

      Liebe Kathrin,

      es geht mir ähnlich – ich glaube, wir haben das Gleiche empfunden :-)
      Herzlichen Dank für deinen Kommentar.

      Liebe Grüße,
      Sandra

      Reply

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