Während eines Spaziergangs unter freiem Himmel über weite Wiesen erlebt ein junger Mann etwas Unerwartetes. Gerade noch sieht er eine Frau, die lesend an einem Tisch sitzt. Sie wendet sich ihm zu und schon im nächsten Moment findet er sich plötzlich in einem dichten Wald wieder. Wie ist das möglich? Wo ist die Wiese und die Frau geblieben?
Er macht sich auf, diese Rätsel zu lösen und einen Weg heraus aus dem Wald zu finden. Da begegnet er einem Mann, der Skizzen der Bäume anfertigt. Und dieser konfrontiert ihn mit der Wahrheit: Er befindet sich gar nicht in einem normalen Wald. Dies hier ist ein Neuronenwald, sie sind mitten in einem menschlichen Gehirn! Der zeichnende Forscher ist der Nobelpreisträger Santiago Ramón y Cajal, der als Begründer seines Gebietes – den Neurowissenschaften – gilt. Ernüchternd ist seine Antwort an den sich im Hirn verlaufenen Mann, denn Cajal sieht absolut keine Möglichkeit jemals wieder heraus zu finden. Glücklicherweise ist er jedoch nicht der einzige Wissenschaftler in dem menschlichen Supercomputer, denn schon der nächste, der ebenso plötzlich im Hirnwald auftritt hat eine Theorie entwickelt, die ein Entkommen doch wieder wahrscheinlicher werden lässt. Laut Professor Camillo Golgi soll es eine Verbindung zwischen den Neuronen geben, sodass Informationen über das Nervensystem fließen können. Und wenn Informationen „fließen“ können, so kann das doch vielleicht auch ein Weg heraus aus dem Hirn sein? Der junge Mann ist entschlossen, diesen Weg zu gehen und setzt seine Reise fort. Ab in ein Neuron …
Auf Odyssee durchs Nervensystem
Ein erster Blick auf das bibliophil gestaltete blaue Hardcover mit silber- und goldglänzenden Intarsien lässt Erinnerungen an prachtvolle Jules Verne-Ausgaben aufsteigen. Das Cover macht einen zugleich wissenschaftlichen als auch phantastischen Eindruck mit einem ein Unterwasserprojektil haltenden Riesenkalmar, einem Märchenschloss im Hintergrund und einer beschnabelten Schlange mit einem Schlüssel auf der linken Seite. Ein Mikroskop, der Querschnitt eines menschlichen Kopfes und eine an ein neuronales Netzwerk erinnernde Verzierung bilden die realistischen Gegenspieler. Mein Faible für die Naturwissenschaften und die Phantastik konnten mich an diesem Buch also unmöglich vorbeisehen lassen.
Ein erster Blick ins Innere ist dann zunächst ernüchternd, denn hier gibt es keine Schnörkeleien, keinen Silber- und Goldglanz mehr. Schlicht in schwarz-weiß und ohne größere Details in den Panels nehmen uns die beiden Neurowissenschaftler Dr. Matteo Farinella und Dr. Hana Roš mit auf eine Reise in unser Gehirn. Ihr Protagonist darf den Weg einer „Information“ gehen, eines „Reizes“, der vom Gehirn aus durch den menschlichen Körper an sein Ziel geht. Schon nach wenigen Seiten ist die kurzfristige Enttäuschung über das schlichte Innere verflogen. Denn die Autoren haben ihre Reisebeschreibung auf geniale Weise komponiert, visualisiert und erzählt.
Wissenschaftler aus dem Forschungsbereich der Neurowissenschaften begleiten den Mann, der so urplötzlich ins Gehirn „gebeamt“ wurde und damit auch uns Leser*innen. Wir können uns dabei wie eine diese Odyssee des Wissens begleitende Mannschaft fühlen. Und dabei lernen. Wir erfahren Details über den Weg einer Informationen von einem Neuron, zum Zwischenstopp Synapse. Von dort als Neurotransmitter in einem Vesikel zu den synaptischen Rezeptoren und so fort. Phantastisch muten die Wesen an, die auf der Strecke warten. Das Hippocampus-Seepferdchen ist nur eines der Highlights anhand dessen Farinella und Roš uns die Wissenschaft und die Wegbereiter dieses Felds erlebbar und verständlich machen. Von trockenem Wissenschafts-Gebabbel ist hier keine Spur zu sehen. Im Gegentei!
Auch wenn sich dieses Buch nicht einfach so weglesen lässt, habe ich es in ganz kurzer Zeit verschlungen. Wer sich auch nur ein wenig für das Thema interessiert wird nicht enttäuscht. Vorwissen ist nicht nötig, aber auch nicht hinderlich, um Spaß mit Das Gehirn zu haben. Von Oberflächlichkeit und langweilig transportierten Theorien ist dieser Comic weit entfernt, ich bin beeindruckt von der fantasievollen Art des Wissenstransfers und werde ganz sicher immer mal wieder zu diesem Buch greifen. Eine Graphic Novel auf hohem Niveau, unterhaltsam, voller Kreativität, Humor und prall gefüllt mit Wissen. Insgesamt ein echtes Glanzstück, das Cover verspricht also nicht zu viel. Und am Ende dieses genial gemachten Buches steht die Frage: Sind wir gar selbst der Protagonist?
Wer mich schwärmen hören möchte, kann das in Folge 7 unseres Podcasts Podcasts 3 Frauen. n Comics. Der Comicklatsch.
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Das Gehirn
Szenario / Zeichnungen
Dr. Matteo Farinella und Dr. Hana Roš
Übersetzt aus dem Englischen von Ulrike Becker
Originaltitel: Neurocomic
Genre und Leseprobe
Comic. Graphic Novel. Hirnforschung. Neurowissenschaften
Eine ausführliche (31 Seiten!) Leseprobe gibt es hier beim Verlag Antje Kunstmann
Noch ein paar Details
Im September 2018 erschienen im Verlag Antje Kunstmann, ISBN 978-3-95614-264-2, 136 Seiten, Hardcover, Euro 20
Im Podcast
Das Gehirn ist meine Empfehlung in Folge 7 unseres Podcasts 3 Frauen. n Comics. Der Comicklatsch.
4 Comments
Janna | KeJas-BlogBuch
18. November 2018 at 14:18Ich wäre Einsteigerin ;) Und was soll ich sagen: DIESES COVER!! *schockverliebt! Und auch der Inhalt klingt echt interessant, ich denke das Buch wandert mal auf meine Wunschliste.
Hab einen mukkeligen Sonntag!
booknapping
18. November 2018 at 14:55Huhu Janna,
freue mich, dich neugierig gemacht zu haben. Nächstes Jahr kommt übrigens noch ein Band … „Die Sinne“. Ich bin schon ganz gespannt und freue mich drauf.
Liebe Grüße und dir ebenfalls noch einen schicken Sonntag,
Sandra
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