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Queen of Kunstbetrug: Cassandra Darke von Posy Simmonds

Comic zeigt eine dicke ältere Frau mit Mütze, gelben Gummihandschuhen und einem Revolver, Comic wird von einer Hand in Gummihandschuh präsentiert
Leseprobe zeigt einen Zeitungsausschnitt über den Fund einer unbekannten Toten in einem Wald
CASSANDRA DARKE Seite 5 © Posy Simmonds / Reprodukt Verlag

Cassandra Darke war eine angesehene Kunsthändlerin mit Kunden auf der ganzen Welt. Die Betonung liegt auf war, denn die 71-jährige wurde des Betrugs überführt. Mit Kopien einer eigentlich streng limitierten Skulptur der Standing Nude hat sie sich ein dickes Portemonnaie verschafft und den gierenden Sammler:innen die Objekte der Begierde. Cassandra hat im Grunde also nur die Bedürfnisse, der immerwährend nach seltener Kunst geifernden Sammlerschaft befriedigt. Wie sehr sie der stete Drang des Wetteiferns, wer die wertvollere Sammlung – die selteneren Stücke – besitzt, doch angewidert hat. Jetzt ist sie allein. Allein, ohne ihre Galerie und ihre jahrzehntelang gewachsene Reputation. Mürrisch wie eh und je, lässt sich Cassandra aber nicht unterkriegen. Wenig ist ihr geblieben, doch sie stellt sich der neuen Herausforderung, unterstützt sogar ihre Nichte Nicky, die als Aktionskünstlerin ihr Studium finanziert und lässt sie in den Keller ihres Londoner Hauses einziehen. Natürlich nicht ganz uneigennützig, so muss Nicky Besorgungen für sie erledigen, sich um den Haushalt kümmern und den Mops Gassi führen.

Und obwohl Cassandra strikt gegen Fremde im Haus ist, kommt in letzter Zeit häufig ein Mann in die Kellerbleibe. Dass Nicky sich mit ihrer neuen Bekanntschaft in kriminelle Kreise begeben hat, ahnt sie spätestens als eine Schusswaffe auftaucht. Und so scheinen beide Frauen mitten in einen Mordfall verwickelt zu sein, der sie an ihre Grenzen und darüber hinaus bringt.

Kein Krimi (und das ist gut so)

Vermutlich bin ich nicht die Einzige, die beim Cover von Cassandra Darke sofort an einen Krimi denkt. Erwartet habe ich eine Kriminalgeschichte mit einer älteren britischen Frau in der Rolle einer – womöglich privat agierenden – Ermittlerin. So eine, die ihre Nase eben nirgends raushalten kann. Abends selbst gemütlich Krimis liest und sich nun auf die Spur eines Mörders macht. So schnell lasse ich mich also von einem ersten optischen Eindruck und allseits bekannten Genreklischees fehlleiten. Denn, ich habe völlig falsch gelegen!

Vielmehr erzählt Posy Simmonds uns vom Altwerden, vom Alleinsein, von der Überheblichkeit der Reichen, die sich selbst immer wieder übertrumpfen müssen, von der Suche nach dem eigenen Platz in der Welt und letztendlich auch von Zusammenhalt und vom Glücklichsein.

Cassandra – du sprichst mir aus dem Herzen

Wenn Cassandra Darke auf einer Trauerfeier von der Galerie aus den von ihr so verhassten Angeberinnen in den Reihen unter ihr ein Gesangbuch auf den Kopf fallen lassen möchte und sich über deren Aussehen lustig macht, dann schmunzle ich beim Lesen, freue mich über den fiesen trockenen Humor und denke an Momente, in denen ich ähnliche Gedanken hatte. Ich liebe es, wenn Cassandra regelrecht angekotzt ist von der Ignoranz der Spekulanten. Wenn sie versucht, Menschen aus dem Weg zu gehen, denen sie partout nicht begegnen möchte. Und ebenso wenn sie sich zurückzieht, allein ist mit ihrem Hund in ihrer geschmackvoll eingerichteten Wohnung und sich Gedanken über ihr eigenes Leben macht.

Ein Jahr ist vergangen. Schon wieder Dezember. Wenn ich nicht so alt und fett wäre, hätte ich den Vormittag vermutlich damit verbracht, zusammen mit anderen kleinen Gaunern Graffiti abzuschrubben. Stattdessen habe ich in einer Tagesstätte Blinden vorgelesen und Briefe für sie geschrieben. Nicht sonderlich anstrengend. Trotzdem bin ich froh, wieder nach Hause zu kommen.
Cassandra Darke, S. 15, Posy Simmonds, Reprodukt Verlag

Erzählerisch ist diese Graphic Novel ein Hybrid, fantastisch illustriert in virtuosem Wechsel von dialoggetragenen Panels, die meist keine Rahmengrenzen benötigen und Zeichnungen, die die vielen Prosatexte begleiten. Berichtet wird stets aus Sicht der Protagonistin.

Cassandra Darke ist auf den Punkt liebevoll britisch, zugleich garstig, voller Details in Text und Bild und mitten ins (lästernde) Herz von uns allen. In das, was von außen eben nicht sichtbar ist. Was ein Genuss!

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CASSANDRA DARKE
Posy Simmonds
Handlettering von Michael Hau
übersetzt von Sven Scheer
erschienen 2019 im Reprodukt Verlag
96 Seiten, Farbe, Harcover
ISBN 978-3-95640-196-1
24 Euro
Erhalten als Rezensionsexemplar
© Posy Simmonds / Reprodukt Verlag

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