Auf der Suche
Jules ist Maler mit großem Talent, aber seine Kunst kann ihn kaum am Leben halten. Er brennt für die Malerei, ebenso brennt es aber in seinem Herzen. Denn Jules ist auf der Suche nach Anna, seiner Muse und wohl auch große Liebe. Eine tiefe Sehnsucht erfüllt ihn.
Sein Weg führt ihn auf die Odysseus, das Schiff der Kapitänin Salome. Auch sie ist auf einer Suche. Ihre soll sie zum Maler Ammon Kasacz führen. Kasacz fasst das antike Griechenland in Bilder wie kein anderer. Eine ganz persönliche Beziehung zu seinen Kunstwerken lässt Salome nicht ruhen. Und ausgerechnet Jules trägt ein Notizbuch dieses Künstlers mit sich. Spontan und in der Hoffnung eine kostenlose Reisemöglichkeit zu bekommen, bietet er ihr Unterstützung an. Für ein Bild pro Woche aus seiner Hand werden die zwei sich einig, gehen fortan gemeinsam auf die Suche. Quer über das Mittelmeer, angetrieben von Liebe, Verzweiflung und Sehnsucht.
Die Fahrten (des) der Odysseus
Auf den ersten vier Seiten des Buches geht es zunächst direkt in die Welt Homers. Dunkle dramatische Bilder und Textzeilen aus der Odyssee bilden einen ungewöhnlichen Einstieg.
Direkt danach wechselt Lepage aber in die Gegenwart seiner Erzählung, das Ende des 19. Jahrhunderts. Auf den 272 Seiten des Buches lassen Sophie Michel und Emmanuel Lepage eine unheimlich dichte Story entstehen. Neben Lepages Artwork, dessen Meer vor Leben und Naturgewalt nur so strotzt, ist die Kunst des fiktiven Antiken-Malers Ammon Kasacz ein wichtiger Teil der Geschichte. Salome und Jules begegnen auf ihrer Suche einigen seiner Kunstwerke, verfolgen so Kasacz‘ Spur. Auf den Comicseiten handelt es sich dabei um Arbeiten des belgischen Künstlers René Follet, die unter anderem in dem Buch Les Grecs (Die Griechen, 1971, Edition Dupois) erschienen sind. Es ist faszinierend, wie die Malereien der zwei in diesem Buch präsenten Männer sich unterscheiden, und dennoch einen ähnlichen Ausdruck haben.
Sobald beim Lesen klar wird, dass Die Fahrten des Odysseus gar nicht, wie erwartet, von der antiken Gestalt erzählt, sondern von zwei Suchenden, die Jahrtausende später auf der Odysseus unterwegs sind, kann einem auch der besondere Kniff in dem Schriftzug des Covers auffallen. Dieser kann auch als Die Fahrten der Odysseus gelesen werden. Auch im Originaltitel gibt es diese intelligente Zweideutigkeit: Les Voyages D’Ulysse. Die Umsetzung ins Deutsche ist hier perfekt gelungen!
Der Kreis schließt sich
Lepage nutzt die Seiten großflächig, zieht Panel und den Erzählfluss auf die gesamte Breite von Doppelseiten, wechselt dann wieder auf Einzelseiten und fügt außerdem großformatige Illustrationen seines fiktiven Malers Ammon Kasacz ein. Dabei hat er mich allerdings manchmal im Lesefluss verloren, da ich nicht instinktiv wusste, wo ich weiterlesen sollte und mich auf einigen Seiten verirrte.
Salomes herzergreifendes Schicksal und somit auch die Motive für ihre Suche werden in Rückblicken erzählt. Gekonnt kommt Lepage wieder zurück in seine Gegenwart und umso weiter die Geschichte voranschreitet, desto stärker werden die Parallelen zu Homers Odyssee sichtbar. Mit einem seelenschmeichelnden Ende schließt sich letztendlich der Kreis.
Die Fahrten des (der) Odysseus ist ein beeindruckendes, bewegendes und zutiefst menschliches Buch in grandiosen Bildern.
Auch wenn es für Comic-Einsteiger*innen ein schwieriger Start sein könnte, kann ich es bei Interesse für die Thematik durchaus auch für Lesende mit weniger Comicerfahrung empfehlen.
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Story: Emmanuel Lepage und Sophie Michel
Zeichnungen + Farben: Emmanuel Lepage und René Follet
Details: erschienen am 19. Juni 2019 im Splitter Verlag (Link zur Leseprobe) • Einzelband/Gesamtausgabe • 272 farbige Seiten • Hardcover • Euro 39,80 • ISBN 978-3-96219-299-0
Weitere Rezensionen in Blogs:
Buchperlenblog (Link)
Den Comic habe ich als kostenfreies Rezensionsexemplar erhalten. Meine Meinung ist davon unbeeinflusst.
6 Comments
Kevin
27. August 2019 at 09:07In meinen Augen ist Die Erde ohne Übel eines seiner besten Alben. Lieferbar bei ppm und bei Salleck direkt.
booknapping
29. August 2019 at 07:20Hi Kevin,
das werde ich mir anschauen, vielen Dank für den Tipp!
Liebe Grüße
Sandra
Kathrin
25. August 2019 at 18:14Liebe Sandra,
Emmanuel Lepage ist immer eine Empfehlung wert. :) Ich mag seinen Zeichen- und Erzählstil sehr. Er verknüpft ja gerne die Haupthandlung mit einer zweiten Erzählebene.
Und um deine Frage an Gabriela aufzugreifen: „Ein Frühling in Tschernobyl“ ist ein guter Start. Das war damals mein erster Lepage (und bis heute mein liebster). Man muss sich jedoch bewusst sein, dass es sich hier nicht um eine fiktive Geschichte handelt, sondern um eine Doku (was die Eindrücke aber in meinen Augen nur umso nachhaltiger macht).
Liebe Grüße
Kathrin
booknapping
29. August 2019 at 07:19Hi Kathrin,
ich glaube, bei dir habe ich die Empfehlung für „Frühling in Tschernobyl“ auch aufgeschnappt :-)
Bisher war mir Lepage eh immer als Autor von Comicdokumentationen im Hinterkopf. Vielleicht ist gerade „Die Fahrten des Odysseus“ hier eine Ausnahme?
Liebe Grüße
Sandra
Buchperlenblog
25. August 2019 at 13:53Liebe Sandra!
Die Fahrten des Odysseus ist wirklich ein sehr beeindruckendes Buch! Besonders Lepages Darstellungen des Meeres in all seinen Facetten fasziniert mich doch immer wieder aufs Neue ganz ungemein. Ich habe übrigens auch eine ganze Weile an der Überschrift gehangen :D Denn der Verlag führt das Buch ja unter Die Fahrten deS Odysseus, aber auch ich wollte unbedingt ein R hineindeuten können und kam ebenso zu dem Schluss, dass der Kringel irgendwie beides sein kann. Eine schöne Spielerei :)
Alles Liebe!
Gabriela
booknapping
25. August 2019 at 14:47Liebe Gabriela,
dies war mein erstes Buch von Lepage und auch ich habe lange an einigen Bildern gehangen. Ich finde die Gestaltung der Titelschrift wirklich genial, wobei es mir tatsächlich erst auffiel, als ich den Namen des Bootes im Comic sah.
Welchen Lepage sollte ich als nächstes lesen? Ich habe ja „Ein Frühling in Tschernobyl“ auf meiner virtuellen Liste.
Liebe Grüße
Sandra
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