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Comicrezension / Graphic Novels

Erinnerung an die Ewige Gegenwart von Schuiten & Peeters

Erinnerung an die Ewige Gegenwart Titel

Taxandria – so lautet der Name der Heimatstadt des Jungen Aimé, was Der Geliebte bedeutet. Ganz allein lebt er in einem mehrstöckigen einzelstehenden Haus, macht sich täglich auf einen langen Weg quer durch die Stadt zu seinem Lehrer Herr Bonze. Aimé ist Bonzes einziger Schüler und damit so etwas wie seine Existenzberechtigung in seiner Profession als Lehrender. Aber diese Konstellation ist nicht die einzige Besonderheit in dieser Stadt, auch Aimés stets haarloser Kopf gehört dazu.

Als der Junge ein echtes Buch mit Papierseiten findet, beginnt er sich intensiv Fragen zu stellen. So etwas hat er noch nie zuvor gesehen. Das kunstvoll gestaltete Buch erzählt die Geschichte der Katastrophe, die Taxandria zu dem machte, was es heute ist. Mit all den zerstörten Gebäuden, den Resten der seitdem auf strengste verbotenen Maschinen und … ihm selbst, Aimé, als einziges Kind unter den noch lebenden wenigen Erwachsenen.

Erinnerung an die Ewige Gegenwart Ausschnitt Seite 8

Erinnerung an die Ewige Gegenwart Ausschnitt Seite 8

Universum der geheimnisvollen Städte

Anfang der 1980er Jahre schufen die Künstler Benoît Peeters und François Schuiten ihr Universum der geheimnisvolle Städte. Die Bände sind voneinander unabhängig lesbar und erscheinen seit 2015 in einer Neuausgabe beim Verlag schreiber & leser. Erinnerungen an die Ewige Gegenwart ist jetzt erstmals in deutscher Sprache erschienen, das Original kam 2009 bei Casterman heraus.

Für mich ist es tatsächlich der erste Schuiten & Peeters und ich frage mich, warum ich bisher nie einen Comic der beiden in der Hand hatte. Denn ich kann mich in den surrealen und zugleich verträumten Bildern, den Elementen aus Märchen und phantastischen Geschichten ganz wunderbar verlieren. In Taxandria scheinen die Gesetze der Statik, die üblichen Gepflogenheiten in der Architektur außer Kraft gesetzt. Hier wölben sich Straßenpflaster wie Meeresoberflächen. Dort bestehen Gebäude aus den unterschiedlichsten und nicht regulär zusammengehörenden Komponenten. Ein Bett besteht nur aus einer Hälfte – scheint in der Mitte geradewegs zerrissen worden zu sein. Gebäude neigen sich, ohne komplett zu stürzen. Einige sind immens in den Himmel gewachsen und haben gar monströse Schmuckelemente.

Erinnerung an die Ewige Gegenwart Ausschnitt Seite 9

Erinnerung an die Ewige Gegenwart Ausschnitt Seite 9

Erzählt aus der Perspektive des kleinen Protagonisten Aimé erfahren wir von der Vorgeschichte dieser Stadt. Aimé, der einmal an der „Wahrheit“, die er auf den Buchseiten glaubt gefunden zu haben, geschnuppert hat, will sich seinem plötzlich sinnlos und langweilig gewordenen Dasein nicht mehr länger hingeben. In großen Panels, die dank Schuitens weichen Zeichnungen zum Verweilen einladen begleiten wir Aimé auf seiner kleinen „Rebellion“. Peeters Szenario glänzt mit einem wunderlich wirkenden und zugleich herzlichen Ende, dass ich mich nach der letzten Seite erneut frage: Warum nur habe ich noch nie einen Comic dieser Künstler gelesen?

Kein Buch?

Nach 65 Seiten endet der Comicteil in diesem Band, nicht aber der Bericht über Taxandria. Auf zwölf weiteren Seiten erfahren wir, dass Wiedersehen mit Taxandria eigentlich gar kein Buch werden sollte, sondern ein Film. Ein Film des belgischen Regisseurs Raoul Servais, der als ein Meister des Animationsfilms gilt. Welchen Weg die Pläne gingen und warum es schlussendlich nicht zu dem Projekt gekommen ist – zumindest nicht in der ursprünglich vorgesehenen Form -, erzählt dieser großzügig illustrierte Part am Ende des Albums.

Erinnerung an die Ewige Gegenwart ist ein Kunstwerk. Wie schön wäre es gewesen dieses in bewegten Bildern zu sehen. Wie schade wäre es aber gleichzeitig, in Konsequenz dann auf dieses Buch, auf diesen Comic hätten verzichten zu müssen. Nur aus diesem Grund bin ich froh, dass es keinen Film gab.

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Erinnerung an die Ewige Gegenwart

Geschrieben und gezeichnet

Benoît Peeters und François Schuiten

Übersetzt

Aus dem Französischen von Resel Rebiersch
Originaltitel: Souvenirs de L’Eternal Present (2009)

Genre, Reihe und Leseprobe

Comic. Graphic Novel. Surrealismus. Gesellschaft.
Eine Leseprobe und weitere Informationen zur Reihe gibt es beim Verlag schreiber & leser

Noch ein paar Details

2018 erschienen, ISBN 978-3-946337-60-7, 80 farbige Seiten, Softcover.

Den Comic habe ich als kostenfreies Rezensionsexemplar erhalten.

Erinnerung an die Ewige Gegenwart Cover

 Erinnerung an die Ewige Gegenwart © Schuiten & Peeters / Schreiber & Leser

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4 Comments

  • Carsten Lang
    12. Dezember 2020 at 13:20

    …die Geheimnisvollen Städte haben durchaus eine Reihenfolge, auch, wenn diese auf den ersten Blick nicht zu existieren scheint. Diese Reihenfolge ergibt sich aus den verschiedenen Zeitdaten, in denen die zugegebener Maßen, nur lose miteinander verflochtenen Geschichten angesiedelt sind. Der „Führer durch die geheimnisvollen Städte“ gibt dazu eine recht ausführliche Auflistung. Schreiber & Leser veröffentlicht im Januar 2021 auch endlich den „Archivar“ und „Das Stadtecho“ ist auch schon angedacht.
    All denen die sich näher, mit diesem recht umfangreichen und sehr tiefgründigen Werk, befassen möchten sei auf jedem Fall die Seite https://www.altaplana.be/en/start ans Herz gelegt.
    P.S.: …die beiden Bände „Nach Paris“ gehören definitiv nicht zu den geheimnisvollen Städten, auch wenn manche sie dort verorten wollen. Schuiten hat sich zu diesem Thema unmissverständlich geäußert. :-)))

    Reply
    • booknapping
      12. Dezember 2020 at 17:59

      Danke für den Link! Da werde ich definitiv vorbeischauen, denn „Der Archivar“ habe ich bereits geordert, nachdem ich den Band kürzlich in der s&l-Vorschau entdeckt habe. Wie ich in meiner Besprechung schrieb, bin ich selbst noch ein recht unbeschriebenes Blatt, was die Geheimnisvollen Städte angeht, aber das Blatt wird langsam voller werden. Und danke dir auch für die wertvollen Infos!

      Herzliche Grüße
      Sandra

      Reply
  • Holger
    12. August 2018 at 20:41

    Den Film „Taxandria“ von 1994 gibt es auf DVD in deutsch. Er ist von Raoul Servais und es spielt unter anderem Armin Müller-Stahl eine Hauptrolle. Das Ganze ist eine Mischung aus Theater, Trickfilm und Realfilm.

    Bei YouTube finden sich ein paar Ausschnitte.

    Ich persönlich finde aber die Comics viel besser. Da gibt es einiges zu entdecken!

    Reply
    • booknapping
      13. August 2018 at 07:38

      Vielen Dank, Holger! Habe ich mich da denn so versehen? Ich schaue diese Woche nochmal in den Comic, wie es dort beschrieben ist und was ich eventuell missverstanden habe.
      Danke auch für den Tipp, in den Film muss ich einfach reinsehen :-)

      LG,
      Sandra

      Reply

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