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Der Rabengott von Ann Leckie (Rezension)

Buch steht auf einem goldenen Buchständer, davor eine schwarze Feder und ein Stein, im Hintergrund Pflanzen

Wie wäre es wohl, als Gott auf eine Welt zu schauen? Als einer, der von Anbeginn dabei ist. Mitzuerleben, wie um einen herum Leben entsteht. Wie Arten sich entwickelen, wieder vergehen und ganz neue entstehen. Ja, wie könnte sich das anfühlen, welche Gedanken würden einen umtreiben? Und wie wäre es, wenn dann die ersten Menschen auftauchen und damit beginnen würden, mit einem zu kommunizieren, einen um Schutz bitten und einem Fragen stellen würden? Würde man die Menschen mögen, die, verglichen mit einem selbst, so schnell vergehen? Und wie würde man mit ihnen sprechen, wenn man sich in einem Stein befindet? Womöglich sogar selbst ein Stein ist?

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Titel: DER RABENGOTT
Autorin: Ann Leckie
Übersetzung: Michael Pfingstl
Erschienen: 16. März 2024
Verlag: Hobbit Presse / Klett-Cotta Verlag
Ausgabe: Hardcover mit Lesebändchen und Farbschnitt, 368 Seiten, 26 Euro, ISBN: 978-3-608-96602-2
Link zum Buch und zur Leseprobe beim Verlag

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Eule und Buch

Buchcover in schwarz mit goldenem Rabentürklopfer und weißer Aufschrift
Der Rabengott © 2024 / Ann Leckie / Hobbit Presse

Der Rabe ist tot. Es lebe der Rabe

Der Rabengott ist schon lange Zeit der Schutzgott des Königreichs Iraden. Um einen direkteren Draht zu den Menschen zu haben und beweglich zu sein, übernimmt er jeweils für die Lebenszeit eines Rabens dessen Körper. In diesem Instrument residiert er in einem hohen steinernen Turm der Hafenstadt Vastai. Stirbt sein Insturment, muss mit ihm auch sein Sprachrohr, der Statthalter, in den Tod gehen. Und zwar freiwillig. Sobald das neue Instrument geschlüpft ist, übernimmt der Erbe des alten Amtsinhabers und widmet sein Leben ausschließlich dem alles beschützenden Gott. Sollte diese Kette unterbrochen werden, droht großes Unheil – man mag es sich nicht ausmalen, da das Königreich damit Angreifern und anderen Göttern schutzlos ausgeliefert wäre!

Genau in dieser Situation steigt der Roman ein, denn der Statthalter ist verschwunden und das Instrument tot. Anstelle des Erben Mawat, hat sich dessen Onkel Hibal den Titel geschnappt. Aber wo nur ist Mawats Vater? Ist er etwa geflohen, um sich dem eigenen Ableben zu entziehen? Ein Eklat! Mawat glaubt an eine Intrige. Niemals wäre sein Vater weggelaufen und überhaupt – ER ist der nächste Statthalter und nicht der sich selbst als solcher ernannte Onkel!

Theoretisch war so etwas natürlich möglich. Man kann eine solche Aussage über jeden beliebigen Gegenstand treffen – handele es sich nun um Knochen von Gättern oder nicht – und sie damit zu einer von einem Gott gesprochenen Wahrheit machen. Da die Worte eines Gottes aber wahr sein müssen, muss dieser Gott sodann alle seine Macht darauf verwenden, die Welt seinem Wort entsprechend zu verändern, oder daran zugrunde gehen.

Der Rabengott, S. 63 von Ann Leckie © 2024 Hobbit Presse – Klett-Cotta Verlag

Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein …

… damit beschäftigten sich Mitte der 1960er Jahre bereits die Brüder Arkadi und Boris Strugatzki in ihrem gleichnamigen Roman. Ann Leckie hat sich der Thematik angenommen, lässt dabei ihre Story allerdings auf einem Stück von Shakespeare fußen. Und wann haben wir Menschen schon einmal Gelegenheit an der Seite eines Gottes zu wandeln, die „Erd“geschichte zu erleben und aus einer wahrhaft göttlichen Perspektive auf das große Ganze zu schauen? Ann Leckie macht es möglich in ihrem Rabengott.

Als Stärke und Geduld des Hügels berichtet dieser Gott aus eigener Sicht rückblickend auf seine Existenz und kommt dabei an relevanten Themen für uns Menschen vorbei. Hält einen inneren Monolog über Sprache, Politik, Kriege, Kulturentwicklungen und vor allem auch das DA-sein – als Mensch und auch als Gott. Mit der Zeit erweitert sich der Monolog zu Gesprächen, mit Menschen, die ihm Fragen stellen und Bitten vorbringen. Und auch einer Göttin, in der er fast so etwas wie eine Freundin gefunden zu haben scheint. In all der Zeit liegt er als großer runder Stein auf einem Hügel im hohen Norden des Landes.

Das klingt abstrakt, ungewöhnlich und wo sind jetzt die Figuren, mit denen mitgefiebert werden kann? Ann Leckie geht hier neue Wege. Sie erzählt nicht nur aus Sicht des Gottes über dessen Erkenntnisse, sondern lässt ihren Stein auch Eolo, den Adjutanten des Statthalter-Erbens Mawat, ansprechen. Direkt – per DU – berichtet er von dessen Erlebnissen, ist Eolo doch mitten drin im Intrigenspiel im von den Geschehnissen aufgewühlten Vastai.

Am Morgen verzogst du kurz das Gesicht, als du dir die Hände und den Mund mit Kräuterwasser wuschst. Lag es daran, dass du südlich des Waldes andere Kräuter gewohnt warst, oder daran, dass du dich an das schlichte Wasser in der Natur gewöhnt hattest? Danach sprachst du ein Morgengebet zum Raben, dem Gott von Vastai und Erhalter Iradens.

Der Rabengott, S. 65 von Ann Leckie © 2024 Hobbit Presse – Klett-Cotta Verlag

Im Einklang mit meiner inneren Stimme

Dieses Zusammenspiel der zwei Stränge, Leckies Umgang mit Sprache und die Besonderheit des Erzählens haben Der Rabengott für mich zu einem faszinierenden Leseerlebnis gemacht. Schon nach wenigen Absätzen spürte ich, dass der Text in mir schwingt, zu meinem ganz eigenen inneren Duktus passte. Ich habe es geliebt, die Sätze zu lesen, mit dem Gott Stärke und Geduld des Hügels – sozusagen – von oben auf alles herabzuschauen, im Stillen zu beobachten. Mit ihm zu analysieren, nachzudenken, zu schmunzeln (ja, der Gott hat auch einen ganz eigenen Humor) und … still zu sein. Die Sätze entspannten mich, ließen mich selbst zur Ruhe kommen. Ein ganz wundervolles und sehr besonderes Buch.

Blick aufs Buch von oben auf den Farbschnitt, der Rabenfedern zeigt. Daneben eine Pflanze

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2 Comments

  • Mi
    19. April 2024 at 13:03

    Das klingt auf jeden Fall nach etwas, das ich auch lesen möchte :)
    Danke für Dein Review!

    Reply
    • booknapping
      20. April 2024 at 08:24

      Das freut mich und ich kann mir vorstellen, dass es dir gefällt. Bin gespannt :-)
      LG
      Sandra

      Reply

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