Auf den Straßen Berlins
Viele Menschen sind derzeit ohne Dach über dem Kopf, leben auf den Straßen und Plätzen Berlins. Es sind die Gescheiterten, vom Krieg Zurückgelassenen, von der Weltwirtschaftskrise Gebeutelten und die einfach Übriggebliebenen. Sie versuchen sich durchzuschlagen. Sie betteln, musizieren, prostituieren sich, nehmen Gelegenheitsarbeiten an – versuchen zu überleben. Inmitten dieser erschöpften Gesellschaft fällt der Blick auf Fundholz, der sich des geistig eingeschränkten Tönnchen angenommen hat.
Fundholz „sorgt“ für ihn, kümmert sich um Essen für die beiden – und dabei sei angemerkt, dass Tönnchen wahrhaft viel verdrücken kann – und mietet einen feuchten Kellerraum an, in dem sie übernachten können. Die wenig farbenfrohe Szenarie wird einzig durch das Lebendige im Lokal „Fröhlicher Waidmann“ aufgehellt. Dort wird getanzt, Musik gemacht und die Menschen Berlins treffen aufeinander. Eine Situation, die durchaus konfliktbehaftet sein kann, wie sich eines Abends in ihrer vollen Härte zeigt.
Bildnis
Mit Menschen neben dem Leben erscheint der Erstling, des zurzeit des Verfassens dieses Romans gerade mal 22-jährige Autors Ulrich Alexander Boschwitz. Nachdem 2018 sein bis dato nicht in deutscher Sprache erschienener und tief beeindruckender Roman Der Reisende im Verlag Klett Cotta veröffentlicht wurde, folgte ein Jahr später dieses ebenfalls bisher unveröffentlichte Werk nach. Erneut ist Boschwitz sehr nah am Leben, an den Menschen der Zeit. Lesend spüren wir die Verzweiflung, die Armut und aber auch das zögerliche Miteinander der Berliner in den 1920er Jahren – gebeutelt durch Krieg und Weltwirtschaftskrise.
Schicksale liegen auf den Seiten vor uns, posttraumatische Belastungsstörungen beugen die Kriegsversehrten.
Boschwitz portraitiert die Gesellschaft dieser Zeit mittels Menschen, die sich am Bodensatz wiedergefunden haben. Sein Blick bleibt hier nach „unten“, auf die Straße, in die Gassen und Bordelle gerichtet. Sein Zündfunke ist die Wirtschaft „Fröhlicher Waidmann“, in der sich schließlich Boschwitz‘ Figuren treffen und so auch seine Erzählstränge zusammenfinden.
Zum Ende hin, zeigt er anhand eines Bildnisses in eben dieser Wirtschaft, von der unterschwelligen Aggression, die zweifellos aus der Verlorenheit der Menschen herrührt. Indem er sie alle aufeinanderprallen lässt, stellt er deren innere und zwischenmenschliche Konflikte auf die Bühne seines Romans.
Menschen neben dem Leben ist ein sehr bildhafter Roman, der nicht gerade zimperlich daher kommt und nun endlich auch in deutscher Sprache vorliegt.
Ulrich Alexander Boschwitz, geboren am 19. April 1915 in Berlin, emigrierte 1935 gemeinsam mit seiner Mutter zunächst nach Skandinavien, wo sein erster Roman, »Menschen neben dem Leben», erschien.
Quelle: Klett Cotta Verlag
MENSCHEN NEBEN DEM LEBEN von ULRICH ALEXANDER BOSCHWITZ
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Herausgegeben und mit einem Nachwort von Peter Graf
Erschienen im September 2019 im Verlag Klett Cotta (Link auch zur Leseprobe)
303 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, ISBN 978-3-608-96409-7, 20 Euro
Das Buch habe ich als kostenfreies Rezensionsexemplar erhalten. Meine Meinung ist davon unbeeinflusst.
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2 Comments
monerl
21. Januar 2020 at 23:36Hey,
das Buch habe ich auch gelesen! War ja so gespannt, nachdem mich „Der Reisende“ so getroffen hatte. Und da dies das Erstlingswerk ist, wollte ich wissen, ob man eine Entwicklung merkt.
Leider konnte mich das Buch nicht so überzeugen. Man merkt die sehr guten Ansätze des Autors und dass er noch Potential hat. In diesem Buch war mir für einen Tag einfach zu viel von allem. Zu viele Geschichten und Leben von zu vielen Menschen. Deshalb konnte er sich natürlich nicht zu sehr auf eine vertiefen. Das fand ich sehr schade, da jede einzelne Geschichte eigentlich ein ganzes Buch verdient hätte. Insgesamt ein gutes Buch, aber mit Schwächen. :-)
GlG, monerl
booknapping
22. Januar 2020 at 21:24Danke für deine Meinung, monerl!
Ich hatte ebenfalls etwas Probleme ins Buch zu kommen, hatte ich doch vorher – wie du – „Der Reisende“ gelesen und entsprechende Erwartungen. Kann daher verstehen, wenn es dir nicht so gut gefallen hat. Ich fand es halt am Ende doch recht brutal, hätte dann nach den letzten Geschehnissen direkt auch gerne mehr von den Figuren erfahren.
Liebe Grüße
Sandra
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